Rechtsabbiegende Autos? Nein, linksabbiegende Radfahrer sind das Problem!

So könnte eine Unterhaltung zwischen Mitarbeitern der Stadtverwaltung und Gemeinderatsmitgliedern laufen.

„Du, Paula?“

„Ja, Karl?“

„Egal, was wir tun, da fahren immer mehr Radfahrer rum. Was sollen wir denn noch dagegen tun?“

„Hm. Vielleicht Wehret den Anfängen. Also, es steigen immer mehr Leute aufs Rad um. Das sind also quasi Neulinge. Und denen versucht man doch in die Köpfe zu bekommen, dass indirektes links abbiegen besonders sicher ist. Also nicht links einordnen und abbiegen wie der richtige Verkehr, sondern erst geradeaus, und dann irgendwie nach links rüber. Denen verleiden wir das jetzt total. Dann hören die sicher mit diesem Blödsinn Rad fahren auf.“

„Genial. Hast du ein paar Ideen?“

So oder ähnlich könnte es gewesen sein, denn an immer mehr Stellen in Stuttgart werden Radfahrer so über die Kreuzung geführt, dass sie indirekt links abbiegen müssen (Par. 9 (2) StVO. Das kostet nicht nur Zeit, manchmal sind auch richtige Hindernisstrecken aufgebaut worden mit zwangsweisen Verstößen gegen die StVO. Denn „Radfahrer halten sich ja nie an Regeln!“ Wenn Radfahrer das nicht freiwillig mitmachen, sondern sich ganz normal zum links abbiegen einordnen und in einer Ampelphase drüber kommen, da können da schon mal Kreuzungen mit Zeichen 254 „Verbot für Radfahrer“ gesperrt werden.

Aber vor gesperrten Kreuzungen kommen Linksabbieger. Zwei Beispiele aus dem Wust.

Beispiel 1: Schloßstraße am Berliner Platz

Fährt man die Schloßstraße aus Richtung Stuttgart-West Richtung Zentrum runter, kommt man am Berliner Platz an. Und sieht dieses Schild samt Bodenmalerei.

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Berliner Platz

Sieht man diese Konstruktion zum ersten Mal denkt man sich nur „Hä?“ Jedenfalls ging es mir so. Entweder man ignoriert es einfach (beste Wahl), oder man hält an weil man erst überlegen muss, was sich die Verantwortlichen dabei gedacht haben.

Also, Geradeaus und Rechtsabbieger bitte links auf den Radstreifenstummel, Linksabbieger bitte rechts auf den Gehweg. Aber bloß nicht auf der Fahrspur!

Also links. Ist das bei indirektem links abbiegen nicht nach der Kreuzung? Soll man hier vor der Kreuzung rüber?

Tatsächlich.

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Gehweg rauf, Gehweg runter

Und dann steht man auf einer Mittelinsel. Auf der Mittelinsel darf eins nicht fehlen, da hier ja U-Bahnen fahren, und nicht zu wenig.

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Drängelgitter

Allseits beliebt und geschätzt, gerade mit Anhängern, Liegerädern, Lastenräder. Aber das fährt ja niemand. Denken die Verantwortlichen vermutlich.

Wie kommt man dann drüben wieder auf die richtige Seite? Keine Ahnung.

Beispiel 2: Waiblinger, Ecke Taubenheimstraße

Bei der Neugestaltung der Waiblinger Straße in Bad Cannstatt vor einigen Jahren wurde aus der rechten Fahrspur ein Radstreifen. Aber halt, schließlich sind wir in Stuttgart! So ganz ja nicht. Die Spur wurde, neben weiteren Mängeln, schmäler gemacht. Denn dass

sich Radfahrer überholen können ist natürlich nicht vorgesehen. Aber das ist nicht die einzige Schikane, die eingebaut wurde. Es gibt da beispielsweise noch die Kreuzung mit der Taubenheimstraße.

So sieht es aus vom Wilhelmsplatz her kommend.

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Kreuzung Richtung Fellbach

Sieht gut aus, oder? Wirklich? Man fährt also an der Ampel vorbei geradeaus. Natürlich wenn sie grün ist. Wenn man geradeaus will bleibt man einfach auf dem Schutzstreifen. Nebenbei: es wechselt auch munter zwischen Rad- und Schutzstreifen. Will man nach links, fährt man rechts. Aha.

Aber was ist da ganz klein im Bild zu sehen? Eine Radfahrer-Ampel an der gegenüberliegenden Ecke. Na, da wird doch ein Pfeil in der Streuscheibe sein um klarzustellen dass die für links abbiegende Radfahrer steht. Das sieht man zwar auf diesem Bild nicht, aber nein. Da ist kein Pfeil. Streng genommen gilt die also auch für den geradeaus fahrenden Radfahrer.

Das ist natürlich immer noch nicht alles. Mal ein Blick auf die Schilder über der Ampel für Autofahrer. Über die Wegweiser. Hoppla! Hier ist ja links abbiegen gar nicht erlaubt! Keine Ausnahme.

Also: fährt hier ein Radfahrer geradeaus macht er einen qualifizierten Rotlichtverstoß. Biegt er links ab macht er einen Verstoß gegen die vorgeschriebene Fahrtrichtung. Nur Rechtsabbieger wurden hier vergessen. Auch noch schlampig gearbeitet.

(Apropos: wie erkennt man eigentlich eine Ampel die nur für Kfz-Verkehr vorgesehen ist? Ist das in der StVO vorgesehen und ich habe es übersehen?)

Und wie sieht es von oben aus Richtung Fellbach aus?

Taubenheim_3
Aus Richtung Fellbach

So sieht das aus. Links wird die Spur geöffnet für eine Linksabbieger-Spur. Aber woher den Platz nehmen? Na da gibt’s doch eine bewährte Lösung. Vom Radverkehr natürlich. Aus dem Radstreifen wird wieder mal ein Schutzstreifen. Dadurch kann man ganz einfach die Mindestmaße umgehen.

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Schmal, schmäler, Lenkerbreite

Radfahrer. Ein Leben in Lenkerbreite über Gullydeckel hoppelnd.

Aber egal, Thema ist ja links abbiegen. Also auch hier die Lösung mit Radfahrer-Ampel, geradeaus bitte geradeaus, links bitte rechts. Weil sich ja schon bewährt hat, links neben Rechtsabbiegern Verkehr zu führen. Und vorne wieder die Radfahrerampel, die für Rotlichtverstöße sorgt. Weil, Radfahrer halten ja nie bei Rot!

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Rote Ampel für alle Richtungen

Es ist bedingt durch die Auflösung meiner Smartphone-Kamera nicht optimal zu sehen, aber dass da kein Pfeil ist, der angeben würde für welche Fahrtrichtung die Ampel gilt sieht man.

Über die Waiblinger Straße kann man noch mehr schreiben, aber das reicht für heute. Will ja den Stuttgarter Radaktivisten die gute Laune nicht verderben. Denn solcher Mist wird tatsächlich beklatscht.

Fazit

Solche Stellen gibt es noch viele im Stuttgarter Stadtgebiet. Das waren jetzt nur zwei Beispiele davon.

7 Kommentare zu „Rechtsabbiegende Autos? Nein, linksabbiegende Radfahrer sind das Problem!

  1. (Apropos: wie erkennt man eigentlich eine Ampel die nur für Kfz-Verkehr vorgesehen ist? Ist das in der StVO vorgesehen und ich habe es übersehen?)

    Vor einem guten Jahr unternahm ich einen Vorstoß in die Richtung. Trotz meines Einverständnisses, ist die Eingabe online nicht verfügbar. Darin schrieb ich:

    Wenn es getrennte Signale für verschiedene Formen des Fahrverkehrs gibt, wird dem Kfz-Verkehr die allgemeine Signalisation zugeordnet, während der Radverkehr als abweichender Sonderfall betrachtet wird und eine eigene Signalisation bekommt durch Verwendung eines Sinnbildes „Radverkehr“ nach § 39 Abs. 7 StVO. […] Dadurch, dass einer Art des Fahrverkehrs das Recht zugebilligt wird, der Normalfall zu sein, wird eine Hierarchisierung vorgenommen und beim Rezipienten kommt es zu einer Bestätigung entsprechender Vorurteile. Daher bitte ich darum, die subtile Hierarchisierung bei Erneuerungen und Neueinrichtungen von Lichtsignalanlagen in Zukunft nicht mehr vorzunehmen. Dafür müssen die Lichtsignale für die Kraftfahrzeuge mit dem Sinnbild „Kraftwagen und sonstige mehrspurige Kraftfahrzeuge“ nach § 39 Abs. 7 StVO versehen werden. Wie es die Kombination aus den Sinnbildern „Fußgänger“ und „Radverkehr“ gibt wäre auch eine Kombination von „Radverkehr“ und „Kraftwagen und sonstige mehrspurige Kraftfahrzeuge“ denkbar, wenn man es ganz richtig machen möchte und auf unbestimmte Signale verzichtet (ist doch der Fußverkehr fast immer getrennt signalisiert).

    Die haben dann verwaltungsseitig tatsächlich mal nachgefragt. Wie immer dient die Bevorzugung des Kfz-Verkehrs dem Radverkehr, meint man da. Die Antwort kann man online nachlesen.

    Vielleicht sieht man das in BaWü anders, aber da reagiert ja ein Mann, der regelmäßig aus familiären Gründen Sand mit dem Privat-PKW fahren muss.

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    1. Es ist immer interessant, dass andere zum gleichen Gedanken kommen, unabhängig voneinander. Sich mit der besseren Sicherung und Förderung des Radverkehrs rauszureden ist, hm, sagen wir interessant. In meinen Augen hat das rein gar nichts damit zu tun.
      Ich wäre gar nicht auf den Gedanken kommen diesen Vorschlag kommunal zu bringen, denn die Gestaltung von Ampeln ist bundesweit einheitlich gestaltet. Sieht man momentan an der Forderung, die Streuscheiben für Fußgänger als Äffle und Pferlde zu gestalten.

      Kretschmann und seine Begründung, einen Diesel zu fahren. Wenn die Bemerkung nicht in dem Zusammenhang von ihm in seinem Amt als Ministerpräsidenten gefallen wäre, wäre es viel lustiger. So ist es einfach nur traurig.

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      1. Meines Erachtens wäre das ja im Rahmen der bestehenden Gesetze möglich gewesen, daher der Vorstoß, auf kommunaler Ebene im Rahmen der Möglichkeiten was zu verändern. Ich bin mit aber nicht sicher, ob man verstanden hat, worum es mir geht.

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  2. Ich verstehe nicht, was an der Waiblingerstr. schlecht sein soll. Im Gegensatz zu früher fährt es sich da jetzt ganz entspannt. Über die Verengungen an den Kreuzungen (Daimlerstr., Taubenheimstr., Remstalstr.) brauchen wir nicht reden. Das sind typische Stuttgarter Lösungen auf Kosten des Radverkehrs. Aber selbst damit ist die heutige Situation viel besser als früher.

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    1. Tja. Ich verstehe nicht, wie man sich die schlechten Abschnitte ausblenden kann. Neben dem üblichen Blödsinn, nämlich den Geradeausverkehr rechts von Rechtsabbiegern zu führen (Prinzip Radweg genannt, http://siggis-seiten.de/a/Prinzip_Radweg.htm) sind hier noch andere übliche Verschlechterungen eingeführt.
      – Die Einfädelung über die Bushaltestelle und die Seelberger Straße hinweg ist gelinde gesagt katastrophal. Ebenso auf der anderen Seite Richtung König-Karl-Brücke.
      – Natürlich wird der Radstreifen als billige Parkmöglichkeit beansprucht.
      – Die Rechtsabbiegerproblematik auf der ganzen Strecke, ganz besonders an der Seelberger, Daimler, Kreuznacher und natürlich am Augsburger Platz. Und die Tankstelle kurz vor der S-Bahn-Haltestelle Nürnberger Platz.
      – Zusätzlich ziehen Autofahrer aus Wartepflichtigen Straßen jetzt auf den Radstreifen vor. Besonders schön ist das an der Oberen Waiblinger Straße. Man kommt mit Schwung um die Kurve, und darf dann wegen so einem Vorzieher runterbremsen, denn natürlich kommt man so schnell nicht auf die Fahrspur.
      – Die Ampeln. Ist ja nicht nur die Kreuzung oben, das ist auch an der Daimlerstraße bescheuert.
      – Die mehrmalige Verengung auf Lenkerbreite. Also wie man sowas ignorieren kann ist mir schleierhaft. Autofahrer werden da geradezu genötigt mit zuwenig Seitenabstand zu überholen. Dass da einer wartet bis er genug Abstand halten kann kommt alle Schaltjahre mal vor.

      Und natürlich: diese Frechheit, eine Fahrspur nicht komplett einzuziehen, sondern den Radstreifen dann so zu verschmälern dass ein Überholen von Radfahrern nicht mehr innerhalb des Streifens möglich ist. Autofahrer bekommen dafür eine extra breite Spur. Spricht Bände über den Stellenwert des Radverkehrs.

      Hab ich was vergessen? Außer dass der Streifen im Herbst/Winter aussieht wie ein Radstreifen halt aussieht? Voller Laub, Schnee und Eis?

      Ich verstehe nicht, wie man solche abstruse Konstruktionen gut finden kann.

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      1. Wenn man die Weiterführung in Fellbach betrachtet, ist die Stuttgarter Lösung ja ein Meilenstein. Ich meide diese Strecke aber auch- dort gibt es mir persönlich zu viele negative Punkte.

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